Aggressives Verhalten bei Kindern

1. Einführung

EmotionsflutEs gibt viele Faktoren die das Gefühlsleben der Kinder durcheinander bringen können (Mangelndes Verständnis, unsichere Bindung, Konflikte in der Schule oder zu Hause, zu wenig Aufmerksamkeit der Familie) – und da sich Kinder noch nicht so gut ausdrücken können entladen sich diverse Frustrationen in Aggressionen. An sich ist es eine gute Eigenschaft, sich wehren und durchsetzen zu können, aber es gehören eine gewisse Selbstkontrolle bzw. Grenzen und Regeln dazu, um andere nicht zu schädigen.

Die Eltern gelten hier mit ihrem Verhalten als entscheidende Vorbilder und sollten sich auch in der Pflicht sehen, bei Übertretungen der Grenzen liebevoll aber konsequent einzuschreiten. Hinter kindlichen aggressiven Verhaltensweisen versteckt sich oft ein tieferer Grund, der sich durch Aggression bemerkbar macht, etwa das Gefühl der Hilflosigkeit, der Wunsch nach Selbstbewusstsein bzw. nach Zuwendung oder der Versuch, Kontakt aufzunehmen. Oft signalisiert das Verhalten eine Krise des sozialen Umfeldes (Petermann & Petermann, 2005). Für die kindliche Entwicklung ist es zentral, diese auslösenden oder verstärkenden Faktoren zu erkennen und so früh wie möglich an einer Verbesserung zu arbeiten.

Quellenangaben:
Petermann, F. & Petermann, U. (2005). Training mit aggressiven Kindern. Basel: Beltz Verlag.

2. Wie zeigt sich aggressives Verhalten bei Kindern?

WutAggressives Verhalten zielt auf die Schädigung einer oder mehrerer Personen ab (Bloomquist & Schnell, 2002). Dabei kann es affektiv oder instrumentell motiviert sein. Das affektiv aggressive Verhalten tritt ungeplant und impulsiv auf, während das instrumentell aggressive Verhalten geplant ist. Forschungen zeigen, dass Jungen eher zu körperlichen Aggressionen neigen, während Mädchen bevorzugt indirekte Aggressionsformen wählen (z.B. lästern). Man kann weiter in offene-direkte vs. hinterhältig-verdeckte (z.B. Gerüchte verbreiten) Aggression und in körperliche vs. verbale Aggression unterscheiden.

Je nach Lebensalter des Kindes werden typischerweise andere Aggressionsformen eingesetzt. Im Vorschulalter ist dies das oppositionelle Verhalten, im Schul- und Jugendalter wird gerne Bedrohung eingesetzt. Im Jugendalter kann aggressiv-dissoziales Verhalten auch mit Gesetzesüberschreitungen einhergehen, wie mit Drogenkonsum oder Diebstahl. Während bei einigen Kindern aggressives Verhalten eingesetzt wird, um ihre egoistischen Bedürfnisse durchzusetzen, ist bei anderen Kindern Angst die Ursache für die gezeigten Aggressionen. Emotional begründet äußert sich die Angst oder Überforderung in Form von Wutausbrüchen als Abwehrreaktion. Diese Kinder haben zu anderen oft wenig Vertrauen und fühlen sich schnell bedroht und angegriffen (Petermann & Petermann, 2005).

Aggressives oder dissoziales Verhalten kann unterschiedlich stark ausgeprägt sein und zeigt sich in vielfältiger Art und Weise. Für eine diagnostische Einordnung werden Klassifikationssysteme (ICD-10 und DSM-IV) verwendet, die unter anderem folgende Eigenschaften und Symptome aufzählen (Petermann & Petermann, 2005):

Das Kind bzw. der/die Jugendliche...

  • wird leicht ärgerlich
  • streitet häufig mit Erwachsenen
  • widersetzt sich den Regeln und Anweisungen der Erwachsenen bzw. weigert sich, diese zu befolgen
  • verärgert andere Menschen bewusst
  • gibt den anderen die Schuld am eigenen Fehlverhalten bzw. eigenen Fehlern
  • ist häufig empfindlich und lässt sich leicht von anderen verärgern
  • ist oft wütend und nachtragend

Bei schwierigeren Fällen (Störung des Sozialverhaltens) können auch folgende Symptome auftreten:

  • ist oft boshaft und rachsüchtig
  • bedroht, schikaniert und schüchtert andere ein
  • ist körperlich grausam zu Menschen oder Tieren
  • schwänzt schon vor dem 13. Lebensjahr öfters die Schule oder lief von zuhause weg
  • weist kriminelles Verhalten auf: Brandstiftung, Diebstahl, Zerstörung von Eigentum etc.

Quellenangaben:
Bloomquist, M.L. & Schnell, S.V. (2002). Helping children with aggression and conduct problems. Best practices for intervention. New York: Guilford.
Petermann, F. & Petermann, U. (2005). Training mit aggressiven Kindern. Basel: Beltz Verlag.

3. Fakten zu Aggressionen

  • AggressionVon einer Störung des Sozialverhaltens (Extremform von Aggressivität verbunden mit dissozialem Verhalten) sind zwischen 2% und 9% der Mädchen und zwischen 6% und 16% der Jungen betroffen (APA, 1996). Davon weisen etwa zwei Drittel zusätzlich eine Depression auf (Scheithauer & Petermann, 2002).
  • Viele Kinder sind bedingt durch äußere Umstände (Umstellungen, Konflikte, Lern- und Entwicklungsprozesse) nur vorübergehend aggressiv, dies wird als Anpassungsstörung bezeichnet.
  • Aggressive Störungen treten oft gemeinsam mit einer hyperkinetischen Störung (ADHS) auf, welche durch (motorische) Unruhe, Unaufmerksamkeit und Impulsivität gekennzeichnet ist.
  • Je jünger das Kind beim ersten Auftreten des aggressiven Verhaltens ist, je mehr Situationen es gibt, in denen das Kind die aggressiven Verhaltensweisen zeigt, je verschiedenartiger die aggressiven Verhaltensweisen des Kindes sind und je früher das Kind mit delinquentem (kriminellen) Verhalten beginnt, desto stabiler wird der Verlauf des aggressiven Verhaltens im Erwachsenenalter sein (Scheithauer & Petermann, 2002).
  • Je früher psychologische/psychotherapeutische Interventionen stattfinden, desto aussichtsreicher können aggressive und delinquente Handlungen verhindert werden (Petermann & Petermann, 2005).
  • Soziale Ablehnung, die Kinder erfahren (Dodge et al., 2003) sowie Misshandlungserfahrungen im Kindesalter (Witthöft et al., 2011) stehen in Zusammenhang mit dem Aggressionspotential eines Kindes und werden als verstärkend oder sogar auslösend gesehen.
  • Beginnen die aggressiven Verhaltensweisen erst nach dem 10. Lebensjahr, sind therapeutische Interventionen aussichtsreich, da die Kinder zumeist über grundlegende soziale und schulische Fertigkeiten verfügen und angepasster sind, als Kinder mit frühem Störungsbeginn (Petermann & Petermann, 2005).

Quellenangaben:
Dodge, K.A., Lansford, J.E., Salzer Burks, V., Bates, J.E., Pettit, G.S., Fontaine, R. & Price, J. M. (2003). Peer rejection and social information-processing factors in the development of aggressive behaviour problems in children. Child Development, 74, 374-393.
Petermann, F. & Petermann, U. (2005). Training mit aggressiven Kindern. Basel: Beltz Verlag
Scheithauer, H. & Petermann, F. (2002). Aggression. In F. Petermann (Hrsg.). Lehrbuch der Klinischen Kinderpsychologie und -psychotherapie. Göttingen: Hogrefe.
Witthöft, J., Koglin, U. & Petermann, F. (2011). Neuropsychologische Korrelate aggressiv-dissozialen Verhaltens. Zeitschrift für Psychiatrie, Psychologie und Psychotherapie, 59, 11-23.

4. Psychologische Diagnostik

In einer psychologischen Diagnostik werden unter anderem folgende Fragen geklärt:

Um welche Art der Aggression handelt es sich?
Werden die Aggressionen verdeckt oder offen gezeigt?
In welchen Situationen zeigen sich die Aggressionen?
Welche sind die auslösenden Faktoren?
Welche sind die aufrechterhaltenden Faktoren?
Wie ist die Schul- und Familiensituation?
Welche Belastungen haben die Eltern?
Welchen Freizeitaktivitäten geht das Kind nach?
Wie ist die Beziehung zu den Gleichaltrigen und Geschwistern?

Informationen sollten aus verschiedenen Quellen gewonnen werden:

Exploration der Bezugspersonen (Eltern, LehrerIn):
Befragungen zur Entwicklung, der Persönlichkeit des Kindes/Jugendlichen und den Verhaltensweisen, zu den Ängsten, Hausaufgaben, Freizeitaktivitäten, zur Familiensituation und zu Problematiken in der Schule.

Austestung, Befragung und Beobachtung des Kindes:
Gibt es eine Motivation zur Verhaltensänderung? Welches Ziel soll die Therapie bringen? Durchgeführt werden sollten: Intelligenz- und Leistungsdiagnostik, eventuell eine Angst- und Persönlichkeitsdiagnostik, Verhaltensanalyse über Aggressionen in verschiedenen Situationen (Frustrationstoleranz), Erhebung von Interessen und Tätigkeiten und dem Selbstwertgefühl (Petermann & Petermann, 2005).

Dabei werden der Entwicklungsverlauf und die familiäre Situation, die Selbstwahrnehmung und die Verhaltensprobleme des Kindes erfasst.

Quellenangaben:
Petermann, F. & Petermann, U. (2005). Training mit aggressiven Kindern. Basel: Beltz Verlag.

5. Psychologische Behandlung

Psychologische BehandlungKindern und Jugendlichen mit aggressivem Verhalten fehlt es häufig an sozialer Kompetenz. Sozial-emotionale Grundfertigkeiten zu besitzen, ist ein wichtiger Baustein der kindlichen Entwicklung, um später beruflichen und gesellschaftlichen Anforderungen gerecht werden zu können. Der Begriff soziale Kompetenz fasst eine Reihe an zentraler Fertigkeiten zusammen, wie die Fremd- und Selbstwahrnehmung (Wahrnehmung eigener und fremder Gefühle, soziale Perspektivenübernahme, Gefühlsregulation), ein positives Selbstbild und die Fähigkeit zur sozialen Interaktion (aktives Zuhören, positive Kommunikation, Kooperation und Teamfähigkeit etc.). Diese sozialen Fertigkeiten können gezielt trainiert werden, um aggressiven Verhaltensweisen entgegenzuwirken (Petermann, 2004).

Unser Ziel ist es, die Hintergründe der individuellen Aggressionen zu erforschen, die Selbst- und Fremdwahrnehmung der Kinder zu schulen, die Möglichkeiten der Problem- und Konfliktbewältigung zu erweitern und den Eltern Hilfestellungen im Umgang zu bieten bzw. gemeinsame Veränderungen im Familiensystem vorzunehmen, damit das Miteinander wieder leichter wird. Dazu gehören hinderliche Wahrnehmungsverzerrungen abzubauen, das Gefühl des ständigen Sich-bedroht-Fühlens zu reduzieren, positive Konfliktlösungen aufzuzeigen, soziale Fertigkeiten einzuüben, das Erlernen angemessener Selbstbehauptung (statt aggressivem Verhalten) und kooperatives Verhalten zu fördern.

Folgende Behandlungsmöglichkeiten von aggressivem Verhalten bei Kindern kommen zur Anwendung (Scheithauer & Petermann, 2002; Petermann & Petermann, 2005):

  • Entspannung
  • Rollenspiele
  • Aufbau eines Verstärkungssystems
  • Verbesserung der Selbststeuerung
  • Elternarbeit
  • Training der Kommunikation

Quellenangaben:
Petermann, F. (2004). Umgang mit aggressiv-dissozialen Jugendlichen. Verfügbar unter www.erev.de/fileadmin/service/Referate_Manuskripte/Forum_Fuenf-Tage-Gruppe/Forum_5_Tage_04_Petermann.pdf [11.08.2014].
Petermann, F. & Petermann, U. (2005). Training mit aggressiven Kindern. Basel: Beltz Verlag.
Scheithauer, H. & Petermann, F. (2002). Aggression. In F. Petermann (Hrsg.). Lehrbuch der Klinischen Kinderpsychologie und -psychotherapie. Göttingen: Hogrefe.