Depressionen bei Kindern und Jugendlichen

1. Einführung

VerkriechenTraurigkeit, Angst und Hilflosigkeit sind Gefühle, die Kinder genauso wie Erwachsene erleben können. Depressionen im Kindes- und Jugendalter treten nicht selten auf, sie werden nur selten erkannt, da Kinder über ihre Befindlichkeit weniger klar als Erwachsene berichten können und oft eine weniger typische Symptomatik aufweisen.

Etwa 10% aller Kinder und Jugendlicher weisen laut der Forschung deutliche depressive Symptome auf und 5% sollen von schweren Depressionen betroffen sein. Depressive Kinder sind nicht einfach nur "schlecht drauf", sie leiden genauso wie Erwachsene unter der Niedergeschlagenheit und werden durch die Erkrankung in den sozialen Rückzug gedrängt. Besonders im Kindesalter gehören meist körperliche Beschwerden zum Störungsbild (Bauchschmerzen, Kopfschmerzen, Einschlafstörungen). Schulschwierigkeiten und Verhaltensauffälligkeiten überlagern das Problem und zeichnen ein Bild eines schlimmen oder faulen Kindes. Nur ein geringer Teil der betroffenen Kinder befindet sich in professioneller Behandlung. Doch Kinder und Jugendliche unterscheiden sich in ihrer Hilfsbedürftigkeit von Erwachsenen nicht und profitieren von kindergerechter Behandlung und Therapie, um nicht in eine Selbstwertkrise oder Spirale der Hoffnungslosigkeit zu geraten (Nevermann & Reicher, 2001).

Quellenangaben:
Nevermann, C. & Reicher, H. (2001). Depressionen im Kindes- und Jugendalter: Erkennen, Verstehen, Helfen. München: Beck.

2. Krankheitsbilder

AlleinDepressive Störungen im Kindes- und Jugendalter haben viele Gesichter und lassen sich nicht ohne Weiteres erkennen. Es bestehen sowohl Unterschiede in der Symptomatik aufgrund des Alters und Entwicklungsstandes sowie aufgrund von Persönlichkeitsunterschieden.
Grundsätzlich wird von einer depressiven Störung (Symptome) dann gesprochen, wenn eine „depressive Verstimmung an fast allen Tagen“ und/oder der „Verlust an Interesse oder Freude an fast allen Aktivitäten“ mindestens zwei Wochen lang vorliegen. Die Stimmung wird oft als innerlich leer oder gar tot beschrieben und ist meist durch das Gefühl der Hoffnungslosigkeit und einer negativen Zukunftssicht gekennzeichnet. Es besteht eine Verminderung der Energie und des Antriebs, was zu einer erhöhten Ermüdbarkeit führt. Oft fällt es Betroffenen schwer, sich morgens überhaupt aus dem Bett zu raffen und, je nach Schweregrad, kann bereits die kleinste Anstrengung als eine überfordernde Belastung wahrgenommen werden.

Das Selbstvertrauen und das Selbstwertgefühl sind stark gemindert, es können bereits bei leichten Depressionen Wertlosigkeits- und Schuldgefühle entstehen. Kinder mit depressiven Störungen äußern nicht selten vermehrt, dass sie sich nicht geliebt, wertlos, einsam und verlassen fühlen, was ein Ausdruck für das Fehlen einer emotionalen Nähe zu den Eltern oder anderen wichtigen Personen sein kann. TraurigEine Reihe an körperlichen Symptomen können auftreten: Schlafstörungen, Appetitverlust, Gewichtsveränderungen, Schmerzen, Magen-Darm-Beschwerden etc. Bei Kindern und Jugendlichen gibt es allgemeine Verhaltensmerkmale, wie häufiges Weinen, das Aufgeben von Hobbys aufgrund von Interessenverlust, sozialer Rückzug, Rückgang schulischer Leistungen, Schulverweigerung, Abbau sozialer Beziehungen, starke Abhängigkeit und suizidales Verhalten. Depressive Kinder zeigen vermehrt aggressives Verhalten, Gereiztheit und Wutausbrüche, die aufgrund des länger andauernden Gefühls des Unwohlseins entstehen. Emotional belastete Kinder und Jugendliche weisen häufig eine verminderte Konzentrationsfähigkeit sowie Gedächtnisprobleme auf, die besonders in zielorientierten Lernsituationen wie in der Schule auftreten, was manchmal einen unerwarteten Rückgang schulischer Leistungen zur Folge hat (Nevermann & Reicher, 2001; Wittchen & Hoyer, 2011).

Folgende Tabelle verdeutlicht die altersbezogenen typischen Symptome depressiver Kinder und Jugendlicher, die zusätzlich zu den bereits beschriebenen allgemeinen Anzeichen auftreten können, aber nicht müssen. Je älter das Kind wird, desto ähnlicher werden die Anzeichen den typischen Erwachsenensymptomen (Nevermann & Reicher, 2001):

Klein- und Vorschulkinder

3 bis 5 Jahre

Schreien, Jammern, Reizbarkeit, starke Anlehnungsbedürftigkeit und Trennungsangst, gestörtes Spielen, Spielhemmung, nervöse Unruhe, Traurigkeit, Wut, Apathie, Freudlosigkeit, sozialer Rückzug, Weinkrämpfe;
ab dem 3. Lj: Einkoten, Einnässen, Schaukelbewegungen, Appetitstörungen, Nahrungsverweigerung, Entwicklungsrückstände, Kränkeln, Schlafstörungen, wenig Lächeln und Lachen, ständig trauriger Gesichtsausdruck, bereits erworbene Fähigkeiten entwickeln sich zurück

Jüngere Schulkinder

6 bis 12 Jahre

Geringes Selbstwertgefühl, Lustlosigkeit, Gereiztheit, Unsicherheit, wenig Belastbarkeit, Selbstbestrafung, sozialer Rückzug, Einsamkeit, Kontaktsucht, Angst (z.B. Dunkelheit), Lernhemmungen, Schulversagen, Suizidgedanken, Einnässen, Einkoten, Wein- und Schreikrämpfe, Müdigkeit, Ernährungsprobleme, ständig trauriger Gesichtsausdruck, Schmerzen (z.B. Bauch, Kopf)

Ältere Schulkinder und Jugendliche

12 bis 18 Jahre

Stimmungsschwankungen, Verlust an Aktivitäten und Interessen, mangelnder Antrieb, Zukunftslosigkeit, Wut, Bedrücktheit, Selbstzweifel und -vorwürfe, Minderwertigkeitsgefühle, dauerndes Grübeln, schlechte Schulleistungen, delinquentes Verhalten, Drogenmissbrauch, sozialer Rückzug, Suizidimpulse, Druckgefühl in der Brust oder im Magen, Kopf- und Rückenschmerzen, Ruhelosigkeit, Appetitverlust, Schlaflosigkeit

Quellenangaben:
Nevermann, C. & Reicher, H. (2001). Depressionen im Kindes- und Jugendalter: Erkennen, Verstehen, Helfen. München: Beck.
Wittchen, H.-U. & Hoyer, J. (2011). Klinische Psychologie & Psychotherapie (2. Aufl.). Berlin: Springer.

3. Diagnoseerstellung

DepressivDer erste Schritt zur Behandlung einer Depression ist die Diagnose der Erkrankung. Dazu müssen die vorliegenden Symptome erhoben und klassifiziert werden (nach ICD-10). Es kann zwischen unterschiedlichen depressiven Störungsbildern unterschieden werden, der Schweregrad, der Typus und der Verlauf sind hierfür ausschlaggebend (Wittchen & Hoyer, 2011).

Durch die Beobachtung des Kindes können bereits einige Informationen gesammelt werden (Mimik, Gestik, Bewusstseinslage, Sprechverhalten, Aufmerksamkeit, Affektivität etc.). Die aktuelle Befindlichkeit und Symptomatik wird erfragt, Informationen aus der Vergangenheit werden in Form von gezielten diagnostischen Gesprächen (und eventuell Vorbefunden) mit dem Kind und/oder den Eltern gesammelt, um potentielle vorhergehende Episoden zu erkennen und andere Störungen, die möglicherweise der eigentliche Verursacher der Depression sind, auszuschließen (Möller et al., 2013). Hier sind nicht nur Aussagen von der Familie selbst relevant, auch Informationen von LehrerInnen und anderen Angehörigen können bei Bedarf herangezogen werden.

Da der Übergang zwischen normalen Stimmungstiefen und klinisch relevanten Ausprägungen schleichend ist, stehen für die Erhebung und Einschätzung der Symptomatik klinisch-psychologische Verfahren zur Verfügung. Hauptsächlich sind dies Fragebögen (z.B. Anamnesefragebogen, Depressionssymptomatik, Ängste, zu Beschwerden und Verhaltensweisen) aber auch Leistungstests können zur Anwendung kommen (z.B. Konzentration, Intelligenz, Motorik), um der Depression folgende Beeinträchtigungen und ursächliche Entwicklungsdefizite aufzudecken. Eine klinisch-psychologische Diagnostik stellt den Ausgangspunkt einer möglichen zielgenauen und erfolgreichen Behandlung der depressiven Störung dar.

Quellenangaben:
Möller, H.-J., Laux, G., Deister, A. & Braun-Scharm, H. (2013). Duale Reihe Psychiatrie und Psychotherapie. Stuttgart: Thieme.
Wittchen, H.-U. & Hoyer, J. (2011). Klinische Psychologie & Psychotherapie (2. Aufl.). Berlin: Springer.

4. Psychologische Behandlung

Just MeWichtige Elemente der psychologischen Behandlung sind die Aufklärung und Beratung bezüglich der depressiven Erkrankung des Kindes, um den Eltern sowie dem Kind möglichst viel Wissen und Selbsthilfe zu ermöglichen. Weiter geht es um die Stützung und Begleitung im Krankheitsverlauf, als Vertrauensperson sollen emotionale Entlastung und die Bearbeitung aktueller Problembereiche geboten werden. Besteht eine schwerere Form der Depression ist eine psychiatrische Abklärung und medikamentöse Einstellung anzuraten, auch um das Kind überhaupt für eine Behandlung zugänglich zu machen (Schöpf, 2006).

Arbeit mit dem Kind

Ein depressiver Zustand ist durch negative Vorstellungen über die eigene Person (geringer Selbstwert), über die Zukunft (Hoffnungslosigkeit) und über die gesamte Welt (Niederlagen, Enttäuschungen) geprägt. Negative Gedankenmuster laufen automatisch ab und halten den depressiven Zustand aufrecht. Ein zentraler Baustein einer psychologischen Behandlung ist es, diese negativen Gedankenvorgänge (z.B. Selbstabwertung, Schwarz-Weiß-Denken) sowie schädliche zu hohe Selbstansprüche zu erkennen und zu korrigieren (bei älteren Kindern und Jugendlichen). Selbstreflexion und die daraus resultierende Selbsterkenntnis (z.B. über Beziehungen, Gefühle, Gedanken, Verhaltensweisen) sind grundlegend für positive Veränderungen. Kindern fehlt es oft an angemessenen Problemlösungsfertigkeiten, die trainiert werden, um aufkommende Probleme bewältigen zu lernen. Weiter ist es wichtig, wieder Positives in das Leben der Kinder zu bringen, da sie sich meist zurückziehen und alle Hobbys aufgeben. Angenehme Aktivitäten werden gezielt in den Tagesablauf eingeplant und wirken stimmungsaufhellend. Bei stätig unruhigen und angespannten Kindern, empfiehlt sich das Erlernen einer Entspannungstechnik im Rahmen der psychologischen Behandlung (z.B. Biofeedback, Muskelrelaxation), um sich selbst regulieren zu lernen (Schöpf, 2006).

Arbeit mit den Eltern

Da das familiäre Umfeld bei der Entstehung von depressiven Störungen im Kindes- und Jugendalter meist beteiligt ist, sind auch Elterngespräche ein wichtiger Baustein. Je jünger das betroffene Kind ist, desto wichtiger ist der Einbezug der Eltern in die Behandlung. Die kindliche Depression kann eine Reaktion auf familiäre Problematiken (z.B. Partnerschaftsprobleme der Eltern, Geschwisterrivalität) oder dysfunktionales Erziehungsverhalten (z.B. zu wenig Lob, falsche Kommunikationsmuster) sein (Rossmann, 2008).

Quellenangaben:
Rossmann, P (2008). Depressive Störungen. In Esser, G. (Hrsg.). Lehrbuch der Klinischen Psychologie und Psychotherapie bei Kindern und Jugendlichen (4. Aufl.). Stuttgart: Thieme.
Schöpf, J. (2006). Therapie der Depression. Darmstadt: Steinkopff.