Depressive Störungen
1. Einführung
Jeder Mensch hat Phasen in seinem Leben, in denen er sich besonders glücklich oder schlecht fühlt. Dies ist soweit völlig unbedenklich und Teil eines gesunden Lebens. Wenn eine Phase von niedergeschlagener Stimmung jedoch das Leben des Betroffenen beeinträchtigt und sich nicht mit der Zeit bessert, ist es sinnvoll, Hilfe in Anspruch zu nehmen.
Eine klinische Depression geht über eine gelegentliche Niedergeschlagenheit oder depressive Verstimmung hinaus – sie kann einen Menschen arbeitsunfähig machen und eine überwältigende Traurigkeit, Trägheit und Hoffnungslosigkeit auslösen. "Seelenverlust" kann eine Metapher für eine schwere Depression sein (Wolpert, 2008). Depressive Störungen sind, mit steigender Tendenz, eine der häufigsten Krankheiten in der Bevölkerung. Laut der Weltgesundheitsorganisation (2012) sind weltweit mindestens 350 Millionen Menschen davon betroffen. Eine depressive Störung ist global der häufigste Grund für Arbeitsunfähigkeit. Depression passiert trotz der enormen Häufigkeit oft im Verborgenen, Betroffene fühlen sich stigmatisiert und verbergen ihre Krankheit, was sich negativ auf den Krankheitsverlauf auswirken kann. Viele der Betroffenen erhalten so keine entsprechende Behandlung und leiden langfristig unter der "versteckten Last" der Depression.
Quellenangaben:
WHO (2012). Depression, a hidden burden. Verfügbar unter: www.who.int/topics/depression/en/ [27.8.2014].
Wolpert, L. (2008). Anatomie der Schwermut: Über die Krankheit Depression. München: C. H. Beck.
2. Krankheitsbild und -verlauf
Von einer depressiven Störung wird dann gesprochen, wenn über einen Zeitraum von mehr als zwei Wochen bestimmte Symptome in Zusammenhang mit der Stimmungslage (Affekt) auftreten. Das Hauptkriterium ist, dass dabei eine „depressive Verstimmung an fast allen Tagen“ und/oder der „Verlust an Interesse oder Freude an fast allen Aktivitäten“ bei einer betroffenen Person vorliegt (Wittchen & Hoyer, 2011).
Die Stimmung wird oft als innerlich leer oder gar tot beschrieben und ist meist durch das Gefühl der Hoffnungslosigkeit und einer negativen Zukunftssicht gekennzeichnet. Es besteht eine Verminderung der Energie und des Antriebs, was zu einer erhöhten Ermüdbarkeit führt. Oft fällt es Betroffenen schwer, sich morgens überhaupt aus dem Bett zu raffen und, je nach Schweregrad, kann bereits die kleinste Anstrengung als eine überfordernde Belastung wahrgenommen werden. Das Selbstvertrauen und das Selbstwertgefühl sind stark gemindert, es können bereits bei leichten Depressionen Wertlosigkeits- und Schuldgefühle entstehen. Auftreten können auch Schlafstörungen, Veränderungen des Appetits, Ängste, Konzentrations- und Gedächtnisschwierigkeiten, körperliche Beschwerden, exzessiver Alkoholgenuss und eine stätige Unruhe bzw. Nervosität. Wiederkehrende Gedanken an den Tod und an Suizid können quälend sein, suizidales Verhalten tritt bei depressiven Störungen vermehrt auf. Die Betroffenen leiden unter den vielschichtigen Symptomen und haben Schwierigkeiten, ihre normale Berufstätigkeit und sozialen Aktivitäten fortzusetzen (Beblo & Lautenbacher, 2006; Arolt et al., 2011; Remschmidt et al., 2006).
Der Krankheitsverlauf einer depressiven Störung kann aufgrund der Komplexität und der individuellen Aspekte nicht vorhergesagt werden. Der Ausbruch einer Depression kann von einem Tag auf den anderen geschehen, meistens ist er aber von vielen Faktoren beeinflusst und passiert schleichend. Öfters kann ein erschütterndes Erlebnis in Zusammenhang mit dem Ausbruch der Erkrankung gebracht werden, etwa eine Krankheit, Scheidung oder finanzielle Nöte. Für etwa 20% bis 50% der Personen, die zum ersten Mal eine depressive Episode erleben, ist diese auch die letzte. Weitere 20% bis 30% erleiden zwei bis drei Episoden im weiteren Verlauf. Der Anteil derer, die mehr als drei Episoden erleiden, liegt also ungefähr bei einem Drittel. Eine Episode hält im Schnitt 3 bis 4 Monate an, wobei die Spannweite von wenigen Wochen bis, in seltenen Fällen, zu einem Jahr reicht. Der Abstand zwischen den einzelnen Episoden beträgt ca. 4 bis 5 Jahre. Auch ein chronischer Verlauf, also ein langjähriges Anhalten oder nur teilweiser Rückgang der Symptome, ist möglich (Wittchen & Hoyer, 2011; Beblo & Lautenbacher, 2006; Arolt et al., 2011).
Quellenangaben:
Arolt, V., Reimer, C. & Dilling, H. (2011). Basiswissen Psychiatrie und Psychotherapie (7. Aufl.). Heidelberg: Springer.
Beblo, T. & Lautenbacher, S. (2006). Neuropsychologie der Depression. Göttingen: Hogrefe.
Remschmidt, H., Schmidt, M. & Poustka, F. (2006). Multiaxiales Klassifikationsschema für psychische Störungen des Kindes- und Jugendalters nach ICD-10 der WHO (6. Aufl.). Bern: Hans Huber.
Wittchen, H.-U. & Hoyer, J. (2011). Klinische Psychologie & Psychotherapie (2. Aufl.). Berlin: Springer.
3. Selbsttest
Die Beantwortung der folgenden 10 Fragen kann einen Hinweis darauf geben, ob Sie an einer depressiven Störung leiden. Dieser Kurzfragebogen (Wittchen et al., 1995) kann eine ausführliche klinisch-psychologische bzw. psychiatrische Abklärung aber keinesfalls ersetzen! Sollten Sie über einen Zeitraum von wenigstens zwei Wochen mindestens fünf der Fragen mit "Ja" beantworten können, sollten Sie eine mögliche Depression abklären lassen.
- Fühlen Sie sich fast durchgängig traurig, niedergeschlagen oder hilflos?
- Haben Sie fast durchgängig das Interesse an fast allen Dingen verloren, empfinden keine Freude mehr, an Dingen die Ihnen sonst Freude bereiten?
- Fühlen Sie sich ständig müde, erschöpft und ohne Energie, auch wenn Sie nicht schwer gearbeitet haben?
- Haben Sie Ihren Appetit verloren oder stark an Gewicht zugenommen?
- Leiden Sie fast täglich unter Schlafstörungen (z.B. Einschlaf- oder Durchschlafschwierigkeiten)?
- Sprechen und bewegen Sie sich in den letzten Wochen langsamer als sonst? Oder leiden Sie gegenteilig unter einer inneren Unruhe, sodass Sie nicht still sitzen können?
- Hat sich in den letzten Wochen Ihr sexuelles Verlangen verringert oder ist es ganz vergangen?
- Haben Sie in letzter Zeit kein Selbstvertrauen, fühlen Sie sich wertlos, schuldig oder machen Sie sich übertriebene Selbstvorwürfe?
- Hatten Sie in den letzten Wochen Schwierigkeiten, sich zu konzentrieren, sich Dinge zu merken oder fallen Ihnen ganz alltägliche Entscheidungen schwer?
- Denken Sie häufig über den Tod nach oder sogar daran, sich etwas anzutun?
Quellenangaben:
Wittchen, H.-U., Möller, H.J., Vossen, A., Hautzinger, M., Kasper, S. & Heuser, I. (1995). Hexal-Ratgeber Depression. Basel: S. Karger Verlag.
4. Diagnosestellung
Der erste Schritt zur Behandlung einer Depression ist die Diagnose der Erkrankung. Dazu müssen die vorliegenden Symptome erhoben und klassifiziert werden (nach ICD-10). Es kann zwischen unterschiedlichen depressiven Störungsbildern unterschieden werden, der Schweregrad, der Typus und der Verlauf sind hierfür ausschlaggebend (Wittchen & Hoyer, 2011).
Durch die Beobachtung des Betroffenen können bereits einige Informationen gesammelt werden (Mimik, Gestik, Bewusstseinslage, Sprechverhalten, Aufmerksamkeit, Affektivität etc.). Die aktuelle Befindlichkeit und Symptomatik wird festgestellt, Informationen aus der Vergangenheit werden in Form von gezielten diagnostischen Gesprächen (und eventuell Vorbefunden) gesammelt, um mögliche vorhergehende Episoden zu erkennen und andere Krankheiten, die vielleicht der eigentliche Verursacher der Depression sind, auszuschließen (Möller et al., 2013). Hier sind nicht nur Aussagen von den Betroffenen selbst relevant, auch Informationen von Angehörigen können bei der Diagnose eine Rolle spielen. Da der Übergang zwischen normalen Stimmungstiefen und klinisch relevanten Ausprägungen schleichend ist, stehen für die Erhebung und Einschätzung der Symptomatik klinisch-psychologische Verfahren zur Verfügung. Hauptsächlich sind dies Fragebögen (z.B. Symptomatik einer Depression, Stressverarbeitung, körperliche Beschwerden, Ängste, Suizidalität), aber auch Leistungstests können zur Anwendung kommen (z.B. Konzentration, Planungsfähigkeit). Für depressive Erkrankte ist es zentral, über ihre Erkrankung Bescheid zu wissen, um sich weiter informieren und behandeln lassen zu können.
Quellenangaben:
Möller, H.-J., Laux, G., Deister, A. & Braun-Scharm, H. (2013). Duale Reihe Psychiatrie und Psychotherapie. Stuttgart: Thieme.
Wittchen, H.-U. & Hoyer, J. (2011). Klinische Psychologie & Psychotherapie (2. Aufl.). Berlin: Springer.
5. Psychologische Behandlung
Wichtige Elemente der psychologischen Behandlung sind die Aufklärung und Beratung bezüglich der depressiven Erkrankung, um der betroffenen Person möglichst viel Wissen und Selbsthilfe zu ermöglichen.
Weiter geht es um die Stützung und Begleitung im Krankheitsverlauf, als Vertrauensperson sollen emotionale Entlastung und die Bearbeitung aktueller Problembereiche geboten werden. Ein depressiver Zustand ist durch negative Vorstellungen über die eigene Person (geringer Selbstwert), über die Zukunft (Hoffnungslosigkeit) und über die gesamte Welt (Niederlagen, Enttäuschungen) geprägt. Das Leben der Betroffenen ist durch negative Gedankenmuster ausgefüllt, die automatisch ablaufen und den depressiven Zustand aufrecht erhalten. Ein zentraler Baustein einer psychologischen Behandlung ist es, diese negativen Gedankenvorgänge (z.B. Selbstabwertung, Schwarz-Weiß-Denken) sowie schädliche zu hohe Selbstansprüche zu erkennen und zu korrigieren. Selbstreflexion und die daraus resultierende Selbsterkenntnis (z.B. über Beziehungen, Gefühle, Gedanken, Verhaltensweisen) sind grundlegend für positive Veränderungen.
Weiter ist es wichtig, wieder Positives in das Leben einer depressiven Person zu bringen, da Betroffene sich meist zurückziehen und alle Hobbys und erfreulichen Tätigkeiten aufgeben. Bei stätig unruhigen und angespannten Personen, empfiehlt sich das Erlernen einer Entspannungstechnik im Rahmen der psychologischen Behandlung (z.B. Biofeedback, Muskelrelaxation). Gemeinsam kann daran gearbeitet werden, die Hilflosigkeit zu verlassen und negative unbefriedigende Punkte im Leben der depressiven Personen zu verändern. Besteht eine schwerere Form der Depression ist eine psychiatrische Abklärung und medikamentöse Einstellung anzuraten, auch um die depressive Person überhaupt für eine Behandlung zugänglich zu machen (Schöpf, 2006).
Quellenangaben:
Schöpf, J. (2006). Therapie der Depression. Darmstadt: Steinkopff.